Außer seinem Namen war unserem Hund aus seinem bisherigen Leben nichts geblieben. Streng genommen noch nicht einmal das. Denn als Fundhund wurde er erst in einem spanischen Tierheim auf seinen heutigen Namen getauft.
Also nahm Lupo, „der Wolf“, diesen Namen mit in sein neues Leben bei uns. Süß und trotz seiner viel geringeren Körpergröße und schwarz-weißen Fellfarbe passend für den kleinen Witzbold.
So sieht Lupo wild und verwegen aus, wenn er bei nassem Wetter von seinen Jagdzügen nach Mäusen zurückkehrt. Vom Buddeln klebt die nasse Erde an Maul und Beinen. Die Schnauze wirkt länger, wenn die nassen Haare sein Gesicht nicht mehr so süß und drollig zeichnen wie im trockenen Zustand. Sein kühner und selbstbewusster Blick und seine spitz aufgestellten Ohren zeigen an, dass sein Streifzug erfolgreich war.
Und heulen wie seine wilden Vorfahren kann Lupo auch ganz hervorragend. So laut und durchdringend, dass ich schon scherzhaft befürchtete, er könnte Wolfsforscher damit anlocken.
Im Gegensatz zu mir ist das für Lupo aber keinesfalls ein Spaß. Er drückt auf diese Weise zum Beispiel seine Zugehörigkeit zu sämtlichen läufigen Hündinnen aus – also gewissermaßen als herzzerreißende Einladungen.
Er darf ja heulen. Aber bitte, bitte doch nicht so laut, langanhaltend und oft. Auf dem Balkon! Das Gejaule dringt bis runter ins Dorf. Hatte ich schon gesagt, dass unser Haus am Hang liegt?
Zurück im Haus gibt Lupo jedoch nicht so schnell auf und begibt sich auf leisen Pfoten ins Schlafzimmer. Strategisch wählt er somit den Raum aus, der am weitesten von meinem Schreibtisch entfernt ist, um sich seiner Mitwelt über das Dachfenster weiter bemerkbar zu machen.
Ertappe ich Lupo beim Heulen, lässt er die letzten Töne verschwommen herausgleiten, das klingt wie Bandsalat bei einer Musikkassette.
Gerne erinnere ich mich an unseren ersten gemeinsamen Sommerurlaub mit Lupo am Comer See. Bei unserer Anreise nahm uns das Besitzerehepaar persönlich in Empfang. Nach dem ersten Small Talk auf Deutsch fragte die Vermieterin nach dem Namen unseres Hundes und ich nannte ihn. Daraufhin legte sie voller Entzücken ihren Kopf zur Seite, betrachtete ihn liebevoll und schmunzelnd: »Ach nee, wie süß, Lupo. Luuupo!!!! Wir haben auch einen Lupo, der ist aber so groß«. Sie beschrieb die Schulterhöhe ihres Hundes mit der seitlich ausgestreckten Hand und ergänzte: »Wir haben einen Deutschen Schäferhund und DIE heißen hier bei uns in Italien fast alle Lupo«.
Die Italiener sind große Fans des Deutschen Schäferhundes, im Volksmund heißt er bei ihnen Wolfshund. Okay, dann liegt der Name nahe. (Anmerkung: Die italienische Vokabel für Wolf ist Lupo).
Auf unseren Spaziergängen entlang der Privathäuser lernten wir noch viele Deutsche Schäferhunde kennen. An jedem dritten Grundstückszaun waren große (Warn-)Schilder mit der Aufschrift »LUPO«, jawohl in Blockschrift, angebracht und der jeweilige Namensträger ließ nie lange auf sich warten. Laut bellend kamen sie angeschossen und verteilten ihre Spucke wütend auf den schmiedeeisernen Gartenzäunen.
Aus Deutschland kannten wir noch die gelben Schilder, meist mit Rottweiler-Kopf bedruckt, »Hier wache ich«. Warum so kompliziert? Vier Buchstaben reichen völlig aus!
Die für Mitte Juni ungewöhnliche Hitzeperiode am Comer See hielt an. Wir hatten beschlossen, unseren Nachmittagsspaziergang am Seeufer in Gravedona zu machen, um uns etwas Abkühlung zu verschaffen. Den Ausflug in den Nachbarort wollten wir außerdem mit unserem Lebensmitteleinkauf verbinden.
Die Luft über dem Asphalt flimmerte, als wir den Parkplatz ansteuerten. Alle freien Parkplätze befanden sich in der prallen Sonne.
Unmöglich konnte ich mit Lupo im Auto auf meinen Mann warten. Gegenüber des Supermarktes befanden sich ein paar kleinere Geschäfte, vor denen ich den schützenden Schatten für uns beide erspähte. Von hieraus konnte ich den Ausgang gut einsehen und die Leute ein bisschen beobachten.
Nach kurzer Zeit steuerte eine freundlich lächelnde junge Mutter mit ihrer kleinen Tochter an der Hand, circa vierjährig, auf uns zu. Sie hielt den Blickkontakt, bis sie vor mir stand und fragte: »Come si chiama?« (Wie heißt er?) und deutete auf Lupo, der bereits von dem kleinen Mädchen freudig gestreichelt und geherzt wurde. Voller Stolz auf meine paar Bröckchen Italienisch antwortete ich strahlend: »Lupo.« Das Mädchen grub ihre kleinen Hände immer tiefer in sein Fell.
Von einer Sekunde auf die andere verschwand das freundliche Lächeln aus dem Gesicht der Mutter. Mit zusammengekniffenen Augen starrte sie mich wütend an und riss im selben Augenblick ihre Tochter von Lupo weg, drehte sich nochmals kurz zu mir um. Ich sage nur »wenn Blicke töten könnten.« Offensichtlich fühlte sie sich von mir verspottet.
War ich in dem einen Moment noch hoch erfreut über die mir mögliche Verständigung mit der Italienerin, so stellte ich im nächsten Moment fest, dass wir ein sehr großes Kommunikationsproblem hatten.
Unseren diesjährigen Sommerurlaub werden wir am Gardasee verbringen. Gut möglich, dass sich die Einheimischen dort auch gerne »Wolfshunde« halten. Vorsichtshalber sollten wir Lupo während dieser Reise umbenennen.
Herzliche Grüße,
eure Astrid❤️
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